Freitag, 9. Mai 2014

Über den verlorenen Kampf um die digitale Lufthoheit in der Klasse - und warum das so schön ist

In der letzten Woche hatte ich eine angeregt Unterhaltung mit meinem Kollegen. Gemeinsam hatten wir die Schüler in unseren Klassen damit beauftragt, zum Thema Zahlungsverkehr ein kleines Video in Anlehnung an die momentan angesagten Explainspots zu erstellen. In einem kleinen HandOut haben wir den Schülern empfohlen, das kostenfreie Onlinetool powtoon.com zu nutzen [in einem späteren Blog dann dazu mehr]. Ein kurzer Diskurs entwickelte sich: muss der Lehrer das genutzte Medium nun ebenfalls beherrschen oder nicht? Meine persönliche Meinung finden Sie hier.
(Fotoquelle: 500 px // Galina Jacyna // CC-Lizenz)


Warum wollen Lehrer immer alles ganz genau Wissen?


Die Lehrerausbildung liegt bei vielen von uns schon ein Weilchen zurück und sicher können oder wollen  wir uns nicht mehr an jedes Detail aus unserer Studiumszeit, den Praktika und dem Referendariat erinnern. Aber wenn uns doch eines klar gemacht wurde, dann ist es die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Unterrichtsplanung: die Sachanalyse! Nur auf der Basis der vollständigen Information über das Themengebiet können wir methodische Entscheidungen treffen und den Unterricht so vorbereiten, dass wir jederzeit "Herr der Lage" und bereit für jede Frage und jeden Einwurf der Schüler sind. Ahnungslosigkeit ist nicht gestattet und man gerät in die unangenehme Situation, ein Stück weit Autorität einzubüßen, verlangt man die Beantwortung oder Aufklärung einen Tag später.

Warum ist Allwissenheit ein Hindernis?


Wozu aber führt dieser Anspruch an sich selbst im Hinblick auf den Einsatz von neuen Medien? Kurz: er ist ein einziges Hemmnis. Wenn ich nur für den Fall bereit bin, ein neues Tool, ein alternatives Programm oder eine neue Methode auszuprobieren, dass ich diese selbst gut oder sehr gut beherrsche, werde ich es kaum wagen. Die alltägliche (schulische) Arbeit lässt es doch in den wenigsten Fällen zu, mich in neue Dinge einzuarbeiten - sowohl zeitlich als auch von der persönlichen Motivation. Computersoftware ist da keine Ausnahme. Das Resultat ist einfach: "Ich kann es nicht selbst, also setze ich es nicht ein." Der Anspruch an sich selbst führt zu einer Angst aus ich selbst.

Warum können wir es "trotzdem"?

Ich möchte nun einige Gedankenanstösse geben, die Mut machen sollen, neue Dinge auszuprobieren, auch ohne die mediale Lufthoheit über die Schüler :

Argument 1: Ich habe eine schlechte Handschrift

Ich werde schnell ungeduldig, ich möchte vieles gerne selber machen, manchmal bin ich faul und ich höre lieber zu als das ich rede (ich komme aus Westfalen). Für eine Gruppenarbeit im klassischen Sinn bin ich ungeeignet oder zumindest habe ich hier individuellen Förderbedarf. Darf ich nun keine Gruppenarbeit durchführen? Die Methode ist nicht der Inhalt und daher darf ich selbstverständlich Schwächen im Lernprozess haben. Wichtig ist doch, dass sich in der Gruppe bei der Formulierung eines Handlungsproduktes auf sinnvolle Kriterien zu einigen. Vielleicht hat man auch ein methodisches Vorgehen definiert. Aber die Methode selbst zu beherrschen ist doch keine notwendige Voraussetzung für den Einsatz dieser Methode! Ein neues Medium macht da keinen Unterschied.

Argument 2: Ich bin alt.

Das bringt einen gewissen Erfahrungsvorsprung im Klassenraum mit sich, den ich auch benötige. Denn die Schüler allerdings sind in der Regel geistig flexibler, technikversierter und lernfähiger als ich. Diese Kombination macht es ihnen ungleich leichter, neue Tools für sich zu erarbeiten. Programmlayouts, -strukturen und -funktionen ähneln sich und unterliegen dem Zeitgeist. Schüler, die Up-to-Date sind und aktuelle Software nutzen, sind in der Lage, Analogien zu bilden und so neue Tools schnell für sich zu entdecken. Das weiß ich. Das Wissen aber auch die Schüler. Und sie werfen mir das ebensowenig vor, wie ich ihnen ihre fachliche Unwissenheit vorwerfe. Lieber lernen wir gemeinsam und nicht selten lerne ich von meinen Schülern. ("Weiß jemand von Ihnen, wie man in Paint den Hintergrund transparent einstellt?" oder/und "Herr Raue, lassen Sie mich mal.")

Argument 3: Ich arbeite mit Excel.

Ich unterrichte sogar Excel. Aber beherrsche ich das Programm? Mitnichten!! Wer kennt denn schon jede benutzerdefinierte Einstellung, jede Funktion, jede Formel, jede Option und jede Berechnungsmöglichkeit dieses riesigen Programmes? Vielleicht die Programmierer selbst oder einige Freaks. Aber trotzdem kann jeder das Programm nutzen - in seinem Rahmen selbstverständlich und für seine Bedürfnisse. Aber der kleine "unweiße" Bereich reicht für das selbst gesteckte Ziel. Ebenso unmöglich ist es, die unendlich wirkenden Funktionen der vielen Tools zu kennen. Ich z. B. nutze das Blogger-Programm und kratze momentan offensichtlich noch an der Oberfläche, aber es reicht mit aus. Sie nutzen das Internet und kennen davon ...?

Argument 4: Ich nutze Prezi.

Vielleicht war ich sogar einer der ersten in Deutschland, aber ganz sicher war ich der erste an unserer Schule, so lange ist es her. Seitdem schlage ich es meinen Schülern immer wieder als alternatives Medium zur Präsentationsunterstützung vor. Selbst nutze ich es nicht regelmäßig und so werde ich oft überrascht, was sich in der Zwischenzeit bei dem Programm getan hat. Viele Funktionen sind seit der Version 1.0 dazugekommen. Das Layout hat sich geändert und sogar einige Prozesse zur Präsentationserstellung  wurden modifiziert. Natürlich verwende ich das Programm auch weiterhin im Unterricht, auch wenn ich nicht Schritt halten kann oder will mit der Entwicklungsgeschwindigkeit der Programme. Auch in hier lerne ich bei jedem Programmstart Neues hinzu. 

Argument 5: Ich bin Moderator.

Ich stelle Material zur Verfügung, entwickle Prozesse mit den Schüler, ich doziere bisweilen, reflektiere Arbeitsergebnisse, erarbeite Alternativen ... . Aus diesem Selbstverständnis heraus stellt es für mich kein Problem dar, Software nur zu kennen oder am Rande genutzt zu haben. Wichtig für mich ist es, den Schülern alternative Bearbeitungsmöglichkeiten vorzustellen und einzufordern, sich mit "dem Neuen" zu beschäftigen, sowohl in inhaltlicher als auch in medial-methodischer Hinsicht.

Geben sie den Kampf um die digitale Lufthoheit im Klassenzimmer auf. Sie haben schon verloren. Sich dieses einzugestehen befreit! Öffnen Sie lieber neue Wege, probieren Sie aus, scheitern Sie, lernen Sie oder verzweifeln Sie! Gemeinsam mit den Schülern macht das Entdecken Spaß. Und wenn sie selbst keine Lust dazu haben? Dann geben Sie wenigstens den Schülern die Möglichkeit! Die machen das schon.

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